Interview: Berechtigte Sorgen um die Stadtwerke?

Energieversorgung

Viele Menschen machen sich angesichts der aktuellen Krise Sorgen um die Energieversorgung. Neben großen Gas-Importeuren, geraten durch den Kostenschock auch immer mehr Stadtwerke unter Druck. Drohen hier Insolvenzwellen und gar ein Zusammenbruch der Energieversorgung? Und was können Unternehmen tun, um eine aufziehende interne Krise abzuwenden? Im Interview steht Insolvenzexperte Dr. Nils Freudenberg Rede und Antwort.

Herr Dr. Freudenberg, ist die derzeitige Furcht berechtigt oder überzogen?

Freudenberg: Die Sorgen sind in jedem Fall berechtigt, denn die regionalen Energieversorger, die Stadtwerke, sind in Bedrängnis geraten. Der Verband kommunaler Unternehmen – der VKU – hat vor Kurzem eindringlich vor einem Zusammenbruch der Energieversorgung gewarnt. Es war unter anderem von einem „Flächenbrand“ und einer „Kettenreaktion“ die Rede. Die Situation der Stadtwerke ist tatsächlich schwierig: Sie müssen nicht nur die um ein Vielfaches gestiegenen Preise an den Energiemärkten zahlen. Sie haben beim Einkauf zudem Sicherheiten zu hinterlegen – und die sind entsprechend mitgestiegen. Hinzu kommt, dass sich durch längerfristige Verträge mit den Abnehmern die Preisanstiege oft nicht direkt weitergeben lassen.

Können Sie beschreiben, inwiefern die genannte „Kettenreaktion“ droht?

Freudenberg: Ja, die Stadtwerke bilden in ihrer jeweiligen Region oft das Rückgrat der öffentlichen Infrastruktur. Neben der Energieversorgung übernehmen sie beispielsweise auch Aufgaben wie Müllentsorgung, Trinkwasserversorgung oder den öffentlichen Personennahverkehr. Bekommt ein solches Unternehmen Schlagseite, ist die Daseinsvorsorge einer ganzen Region in Gefahr. Zwar muss bei einem Ausfall eines Stadtwerks der Energieversorger als Ersatz einspringen, der im Netzgebiet die meisten Kunden hat. Doch auch dieser wird durch die aktuelle Krise unter Kostendruck stehen. Übernimmt er Tausende weiterer Haushalte in der Grundversorgung, muss er für diese zusätzlich teuren Strom und Gas einkaufen und Sicherheiten vorstrecken. Beobachter befürchten hier zurecht eine Abwärtsspirale, bei der ein strauchelndes Stadtwerk zahlreiche weiterer Versorger mitreißt und die öffentliche Versorgung gefährdet. Was nicht vergessen werden darf, sind auch die vielen Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung, die aufgrund der Unsicherheit aktuell von ihrem Stadtwerk keinen neuen Energievertrag bekommen. Ihnen droht die Handlungsunfähigkeit und damit eine weitere Kettenreaktion.

Ein staatlicher Rettungsschirm für Stadtwerke ist aktuell nicht in Sicht. Können gefährdete Unternehmen dennoch etwas tun?

Freudenberg: Das können sie. Die Grundlage dafür ist eine genaue Analyse ihres Ist-Zustandes und ein rechtzeitiges hinzuziehen von Sanierungsexpertise bei Krisensignalen. So stehen Optionen wie eine außergerichtliche Restrukturierung oder eine Insolvenz in Eigenverwaltung offen. Über einen Restrukturierungs- oder Insolvenzplan können sich die Versorger beispielsweise finanzwirtschaftlich sanieren. In einem gerichtlichen Verfahren können zudem unwirtschaftliche Geschäftsbereiche ausgegliedert, Verträge kurzfristig angepasst oder eine Sanierungslösung über einen Investor gefunden werden.

Das Thema betrifft Sie selbst? Nehmen Sie gern Kontakt mit unserem Experten auf.

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