Interview: Erleichterungen beim Insolvenzrecht
In bewegten Zeiten ist auch das Insolvenzrecht in Bewegung. Wir sprachen im Interview mit Rechtsanwalt und Insolvenzexperte Dr. Norman Häring über die aktuelle Rechtsprechung und neue Regelungen.
Herr Dr. Häring, gab es in letzter Zeit Anpassungen durch die Rechtsprechung?
Im Sommer erfolgte ein richtungsweisendes Urteil durch den Bundesgerichtshof, das mehr Transparenz bei der Ermittlung von Insolvenzgründen schafft. Demnach reicht der genaue, aussagekräftige Liquiditätsstatus an jeweils drei Stichtagen im Prognosezeitraum aus. Wird an diesen Tagen eine Liquiditätslücke nachgewiesen, die vom Betrieb nicht geschlossen werden kann, ist Zahlungsunfähigkeit gegeben. Das soll für mehr Klarheit sorgen und die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit insbesondere für Geschäftsleiter erheblich erleichtern. Bis dato musste bei einer festgestellten Unterdeckung eine sogenannte „Liquiditätsbilanz“ aufgestellt werden, das heißt, die Verbindlichkeiten und Zuflüsse in einem dreiwöchigen Prognosezeitraum mussten aufsummiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden.
Es gab auch eine Initiative des Gesetzgebers, können Sie diese erläutern?
Ja, seit Kurzem sorgt das „Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG)“ im Zuge der Energiekrise für Erleichterungen. Die Regelungen sind zunächst bis Ende 2023 befristet. Demnach wird bei einer Überschuldung der Zeitrahmen für eine Fortbestehensprognose von 12 auf vier Monate verkürzt. Zugleich wird die maximale Antragsfrist bei diesem Insolvenzgrund von sechs auf acht Wochen erhöht. Letzteres soll Unternehmen mehr Zeit für kurzfristige Sanierungsmaßnahmen verschaffen. Der verkürzte Prognosezeitraum soll daneben verhindern, dass Unternehmen wegen der derzeit unsicheren Situation und der schwierigen langfristigen Planbarkeit vorschnell Insolvenz anmelden müssen. In diese Kerbe schlägt auch die zeitweilige Anpassung bei den Planungszeiträumen im Rahmen von Eigenverwaltungen und Restrukturierungen nach StaRUG. Sie werden von sechs auf vier Monate verkürzt. Das soll Unternehmen Finanzplanung und Prognosen im Vorfeld des angestrebten Verfahrens erleichtern und ihnen aktuell so leichter Zugang verschaffen.
Wie sind die Maßnahmen im Rahmen der Insolvenzpraxis zu bewerten?
Die Konkretisierung beim Insolvenznachweis durch den Bundesgerichtshof ist eine nützliche, alltagstaugliche Erleichterung. Auch das SanInsKG geht nach Meinung vieler Beobachter in der momentanen Krise in die richtige Richtung. Es ist mit Sicherheit sinnvoller als eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wie in der Hochphase der Corona-Krise. Der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit wird von der neuen Regelung nicht berührt. Somit ist die Gefahr deutlich geringer, dass das Insolvenzgeschehen von der realen Wirtschaft abgekoppelt wird. Unternehmen, die eigentlich nicht mehr lebensfähig sind, werden nicht mehr künstlich am Markt gehalten. Das Gesetz wurde aber auch kritisiert. Denn bei den tatsächlichen Insolvenzanmeldungen spielt die Überschuldung als Grund eher eine untergeordnete Rolle. Es dürften somit wohl nur wenige Pleiten direkt verhindert werden. Andererseits wurde kommentiert, dass die Regelungen Druck von der Geschäftsleitung nähmen. Denn bei schwieriger längerfristiger Planbarkeit müsste sie durch die kürzere Prognose nicht mehr voreilig Insolvenz anmelden – aus Furcht vor Haftungsrisiken und Insolvenzverschleppung.
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